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Warum der erste Eindruck nicht den Marktwert bestimmt

Aelterer Mann und Maklerin im Gespraech mit Modellhaeusern – Thema Immobilienbewertung und Preisverhandlung

Wer ein Haus betritt, entscheidet in Sekunden, ob es „passt“. Aber genau diese Emotion wird schnell teuer – besonders bei der Preisverhandlung. Der erste Eindruck einer Immobilie beeinflusst viele Käufer stärker als alle Zahlen im Exposé. Doch Charme, Duft oder Tageslicht sind keine Bewertungsgrundlagen. Wer den wahren Marktwert erkennen will, braucht Klarheit statt Gefühl.


Die emotionale Falle beim Immobilienbesichtigung

Ein frisch gestrichener Flur, der Geruch nach Kaffee, ein gepflegter Garten – all das erzeugt Sympathie. Makler nutzen diese Reize gezielt. Was viele nicht wissen: Diese Effekte lassen sich bewusst inszenieren. Und sie haben keinen Einfluss auf den Substanzwert der Immobilie.

Warum das gefährlich ist:
Käufer verhandeln weniger, wenn sie sich „verliebt“ haben. Viele verzichten auf ein Gutachten oder erkennen Mängel zu spät, weil der Gesamteindruck positiv war. Hier beginnt die eigentliche Herausforderung der Preisverhandlung: sachlich bleiben, wo das Herz schneller schlägt.

Was wirklich zählt: Kriterien für den echten Marktwert

Der Marktwert einer Immobilie wird nach klaren, objektiven Faktoren berechnet – nicht nach dem Bauchgefühl des Käufers. Zu den wichtigsten zählen:

  • Lagequalität: Infrastruktur, Lärm, Zukunftsentwicklung

  • Baujahr und Modernisierungsstand

  • Ausstattung (Fenster, Heizung, Dämmung)

  • Grundstücksgröße und Ausrichtung

  • Zustand von Dach, Keller, Fassade

  • Vergleichspreise in der Region

Diese Merkmale sind im Gutachten oder in professionellen Wertermittlungen berücksichtigt – aber selten offensichtlich bei der ersten Besichtigung.

Laptop mit Modellhaus und Lupe – Symbol fuer digitale Recherche und Vorbereitung auf Preisverhandlung beim Immobilienkauf

Typische Fehleinschätzungen – und was dahintersteckt

Hier eine zweispaltige Tabelle, die zeigt, was viele Käufer beim ersten Eindruck wahrnehmen – und was in Wirklichkeit zählt:

Wahrnehmung beim RundgangTatsächliche Bewertungskriterien
„Alles wirkt neu und sauber“Wurde nur kosmetisch renoviert? Zustand von Leitungen und Bausubstanz prüfen
„Schön helles Wohnzimmer“Fensterqualität und Energieeffizienz analysieren
„Tolle Einrichtung“Möbel gehören meist nicht zum Kauf – Fokus auf Grundriss und Raumwirkung
„Gepflegter Garten“Prüfen: Pflegeaufwand, Baumängel, Hanglage, Drainage
„Gute Stimmung beim Betreten“Subjektiv – wichtig ist: Feuchtigkeit, Gerüche, Heizsystem
„Viel Platz im Keller“Nutzfläche ≠ Wohnfläche – rechtlich trennen
„Wirkt hochwertig“Materialqualität prüfen: Laminat ≠ Echtholzparkett

Was bei der Preisverhandlung entscheidend ist

Sobald die reale Bewertung feststeht, beginnt der zweite, entscheidende Teil: der Preis. Wer mit fundierten Argumenten verhandelt, hat bessere Karten. Dabei geht es nicht um aggressive Taktik, sondern um Transparenz und Zahlen.

Hilfreich für Käufer:

  • Vorab ein Gutachten oder eine Wertermittlung einholen

  • Vergleichsobjekte recherchieren

  • Renovierungskosten realistisch schätzen

  • Mängel dokumentieren (Fotos, Notizen)

  • Emotionen außen vor lassen – oder klar erkennen

Warum Experten helfen – und sich schnell auszahlen

Viele Käufer glauben, sie können eine Immobilie „intuitiv“ einschätzen. Doch selbst erfahrene Investoren verlassen sich nicht auf den ersten Eindruck. Immobiliengutachter, Bausachverständige oder seriöse Makler bieten objektive Sichtweisen – und helfen, überhöhte Preise zu vermeiden.

Die Kosten für ein Kurzgutachten liegen oft unter 1.000 Euro – können aber Zehntausende beim Kauf sparen. Auch eine zweite Besichtigung mit einem Bauexperten kann den Blick auf Mängel schärfen, die man beim ersten Mal nicht wahrnimmt.

Mann analysiert Bauplan am Schreibtisch – Vorbereitung auf Preisverhandlung durch sachliche Bewertung der Immobilie


Interview: „Am Ende gewinnt, wer sich nicht blenden lässt“

Ein Gespräch mit Bausachverständigem Tobias Rehmer über Emotionen, Mängel und Preisverhandlung beim Hauskauf

Herr Rehmer, was sehen Käufer beim ersten Betreten einer Immobilie am häufigsten – und was sehen sie nicht?

Tobias Rehmer: Die meisten sehen ein stimmiges Gesamtbild. Licht, Einrichtung, Geruch – das wirkt sofort. Was sie selten bemerken: feuchte Wände, ungedämmte Leitungen, energetische Schwächen. Ich habe schon Häuser gesehen, bei denen das Bad glänzte, aber der Dachstuhl durchgefault war.

Warum spielt der erste Eindruck trotzdem eine so große Rolle?

Tobias Rehmer: Weil wir Menschen emotional kaufen – auch bei so großen Entscheidungen wie Immobilien. Das Haus muss sich „richtig“ anfühlen. Diese emotionale Sicherheit überlagert dann oft den rationalen Blick. Das ist menschlich, aber gefährlich. Genau das erschwert die Preisverhandlung, weil Käufer sich schlecht lösen können.

Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?

Tobias Rehmer: Ja – ein Paar wollte ein charmantes Reihenhaus kaufen. Schöne Farben, gepflegter Garten, super Atmosphäre. Beim zweiten Termin war ich dabei. Wir haben versteckte Risse entdeckt, alte Elektroinstallationen und eine schlechte Dämmung. Ergebnis: 35.000 Euro weniger im Kaufpreis – nach harter Preisverhandlung.

Was ist Ihr wichtigster Tipp für Käufer?

Tobias Rehmer: Nicht vom Exposé blenden lassen. Immer nüchtern rechnen: Zustand, Sanierungskosten, Marktpreisvergleich. Und ganz wichtig: eine zweite Besichtigung – am besten mit einem Fachmann. Selbst wenn es nur eine Stunde ist – sie kann zehntausende Euro sparen.

Und was raten Sie bei der Preisverhandlung?

Tobias Rehmer: Fakten vor Gefühl. Wer Mängel belegen kann, hat Verhandlungsstärke. Ein gutes Gutachten oder auch nur Fotos und Kostenschätzungen geben Argumente. Und bitte nicht nach dem Motto „Wir sind sympathisch, da wird der Verkäufer schon nachgeben“. Das klappt selten.


Blick für das Wesentliche

Ein charmantes Haus kann viele Schwächen verbergen – und genau deshalb ist der erste Eindruck ein schlechter Ratgeber beim Immobilienkauf. Wer klar analysiert, sachlich bewertet und gut vorbereitet in die Preisverhandlung geht, schützt sich vor Fehlentscheidungen. Der Marktwert ist keine Frage der Atmosphäre, sondern des Faktenwissens.

Bildnachweis: David, Andrii Yalanskyi, contrastwerkstatt / Adobe Stock